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Sächsische Zeitung
29.07.2015

"Ich singe nicht mal unter der Dusche“
Er liebt die Elblandschaft, kocht gern Eintöpfe und frönt dem Glück eines privaten Landwirts. Heute wird Kammersänger Peter Schreier 80 Jahre alt.
Von Bernd Klempnow


Peter Schreier
© Ronald Bonß
Peter Schreier, wo er selig ist: an der Elbe mit dem Blauen Wunder.
Unweit von hier steigt heute sein Geburtstagsfest.



Peter Schreier hat eigentlich keine Lust. Er sei schon so oft fotografiert und interviewt worden, sagt der Dresdner Künstler, der als Kruzianer zur Musik kam und jahrzehntelang weltweit als Tenor und Dirigent für Furore sorgte. Doch zum heutigen 80. Geburtstag müsse er noch mal ran, lässt er sich überreden. Schreier ist diszipliniert, kommt pünktlich zum Treffpunkt an der Elbe, ist im
Gespräch offen und geerdet. Er spricht über Defizite im Familienleben, das Damoklesschwert seines Berufs und Wunder im Hochbeet. Am Ende verabschiedet er sich gut gelaunt und zufrieden:
„Das war’s wieder mal – bis zum 90.“


Herr Schreier, hätten Sie gedacht, ein so hohes Alter ziemlich fit zu erleben?
Vor fünf Jahren nicht. Da hing das Leben nach einem Zusammenbruch, Schlaganfällen und Koma am seidenen Faden. Ich habe mich aber wieder hochgerappelt. Sicher kommen Beschwerden dazu, wenn man älter wird. Das ist aber für mich nicht entscheidend. Hauptsache der Kopf bleibt klar.

Wie lebt man mit der Option eines nicht mehr so fernen Todes?
Fatalistisch. Ich weiß, dass es dazu kommt. Aber ich bin sehr optimistisch, noch einige Jahre mitzumachen. Ich will die Zeit noch genießen, ohne Stress und Muss. Aber ich habe keine Angst, wenn es so weit ist.

Glauben Sie an Gott?
Ich glaube an Bach. Sein „Wohltemperiertes Klavier“ ist für mich das Höchste.

Worauf sind Sie stolz?
Auf vieles. Eins macht mich froh: Ich habe unzählige Briefe von Menschen bekommen, denen ich mit meinem Gesang Mut zum Leben gegeben habe.

Ist das Alter Erfüllung oder Belastung?
Eindeutig Erfüllung. Sicher, das Laufen fällt schwerer, mit dem Rücken habe ich Probleme. Aber das nehme ich als gegeben hin. Man hat ja viele Vorteile als Rentner. Man hat keine Verpflichtungen mehr, keinen Stress. Es ist doch herrlich, morgens aufzustehen und zu überlegen, was macht man heute? Ja, das mögen viele nicht verstehen. Mein Berufsleben war erfüllend. Ich habe alles erreicht, was ich wollte. Aber an Lebensqualität habe ich nach dem abrupten Abschied vom Singen 2005 enorm gewonnen. Ich stehe nicht mehr unter dem Damoklesschwert des Berufs.

War Ihre Karriere als wichtigster Mozart­ und Bach­Interpret des 20. Jahrhunderts belastend?
Das war sie teilweise, ich habe viel verpasst. Ich bin jemand, der sehr diszipliniert gearbeitet hat. Ein Beispiel: Ich habe 25 Jahre lang jeden Sommer in Salzburg gesungen, durfte irgendwann sogar meine Frau und Kinder mitnehmen. Jeder hat sie beneidet um diese Westreisen. Doch meine Kinder sagen im Rückblick: „Wir haben nichts von unserem Vater gehabt. Der war immer unter Strom, hatte Proben und Aufführungen.“ Einerseits kann ich sagen: Bis heute halte ich den Rekord der meisten Auftritte in
Salzburg. Andererseits muss ich sagen: Ich habe die Familie vernachlässigt. Das ist ein Defizit meines Lebens.

Verfolgen Sie, was bei den Festivals in Salzburg oder Bayreuth passiert?
Nein. Habe ich mich von etwas verabschiedet, dann ist das Thema passé. An manches erinnere ich mich gern, so an den Salzburger Sommer 1972, als ich mit Christa Ludwig, Hermann Prey und Dietrich Fischer­Dieskau „Cosi fan tutte“ gemacht habe. Günther Rennert hat inszeniert. Der kam absolut vorbereitet auf jede Probe. Er ist auf unsere Möglichkeiten eingegangen, hat keinen in ein Korsett gezwängt.

Damals haben Leute vom Fach inszeniert, heute tun es oft Notenunkundige, Skandalkünstler – Fluch oder Segen?
Ich habe nichts gegen fachfremde Regisseure. Die können durchaus interessante Ansätze in den Opern finden. Doch es passiert zu wenig aus der Musik heraus. Es geht um Körperhaltungen und Äußerlichkeiten. Die Selbstdarstellung triumphiert.

Sie haben stets schön gesungen. Haben Sie auch gern gespielt?
Ich habe zunehmend Gefallen am Spiel gefunden – allerdings in den Partien, in denen ich etwas ausloten konnte: Loge im„Rheingold“, David in den „Meistersingern“ oder Meister Palestrina. Die haben mich gefordert. Das machte mehr Spaß als all die Prinzen. Der ewig zaudernde Belmonte oder der tranige Don Ottavio sind Paradebeispiele für einen Stehtenor. Mit ihnen konnte ich mich nicht identifizieren.

Warum haben Sie trotzdem die vielen Langweiler gesungen?
Meine Stimme war dafür wie geschaffen, zugleich setzte sie mir diese Grenzen. Einerseits ist man als Mozart­Tenor eben ein Schönling, andererseits ist eine Partie wie der Evangelist in Bachs Passionen eine unwahrscheinlich große Aufgabe. Mein Ruf war ja der eines kontrollierten Sängers, der sich auf der Bühne nicht durch Emotionen von der Linie abbringen ließ. Im Liederabend war das anders. Da habe ich immer versucht, die Stimmung aus mir heraus zu interpretieren, quasi dem Publikum die jeweilige Situation bildhaft zu erklären.

500­mal haben Sie den Evangelisten gesungen, wurde das nie öd?
Nein, der Evangelist ist doch ein Strippenzieher. Der bereitet alles vor, die Dynamik und das Tempo. All diese Dinge hat er in der Hand – dafür liebte ich diese Partie. Mit dem Evangelisten ist am ehesten Loge zu vergleichen. Auch der ist ein Strippenzieher. Nur wusste ich das nicht. Herbert von Karajan sagte mir nach einer „Matthäuspassion“, ich müsse Loge singen. Als ich’s dann in Salzburg tat, hat das Publikum getobt. Und ich habe mir gedacht: Was habe ich all die Jahre mit Mozart nur falsch gemacht, dass ich da nie einen solchen Applaus bekam? Aber Wagner ist eben spektakulärer. Ein listiger Loge war ich dann noch in Wien, Berlin, München und Hamburg.

Wären Sie in Bayreuth aufgetreten?
Ich bin es 1966 als Seemann im „Tristan“. Allerdings war ich unsichtbar, habe aus einer Gasse heraus gesungen. Ab 1967 war ich dann in Salzburg, wo mein eigentliches Mozart­/Bach­Repertoire viel gefragt war.

Welche Klassiksänger schätzen Sie?
Ich bewundere Plácido Domingo, wie der sich mit 74 Jahren in Rollen reinkniet. Seine Bühnenpräsenz ist unverändert groß.

Vielleicht braucht er den Beifall?
Ich jedenfalls brauche ihn nicht. Ich bin froh, rechtzeitig den Absprung geschafft zu haben – singe nicht mal unter der Dusche.

Es gab keine Krise, keine Skandale in Ihrem Leben. Sind Sie nie schwierig gewesen?
Beruflich war ich mit mir immer etwas unzufrieden. Schon als Kruzianer lernte ich, nicht krank zu sein, wenn ein Auftritt anstand. Falscher Ehrgeiz? Auf jeden Fall war ich egoistisch. Und manchmal habe ich das an meiner Frau ausgelassen. Um mich dann mit Blumen zu entschuldigen. Wir sind jetzt 58 Jahre verheiratet.

Wie war das mit Groupies?
Wenn mir Damen auflauerten, bin ich ausgerissen. Auch wenn ich wochenlang unterwegs war, es gab nie ein Techtelmechtel. Ich war ganz auf meine Arbeit fixiert.

Sie wurden oft hofiert, was taten Sie?
Ich blieb höflich. Ich wusste ja, ob ich gut war oder nicht. Ich habe auch nie Kritiken gelesen, weil ich mich nicht beeinflussen lassen wollte. Woher das starke Selbstbewusstsein kam? Wahrscheinlich wuchs es mit dem großen Erfolg beim Publikum.

Was wären Sie gern geworden, wenn nicht Sänger?
Bauer, so richtig mit Vieh und Feld. Ich bin ja auf dem Meißner Land groß geworden. Es war für mich selbstverständlich, dass wir bei den Höfen um Gauernitz mitmachen konnten. Die ganze Atmosphäre, der Tagesablauf, das abendliche Treffen der ganzen Familie, das war meine Welt.

Später haben Sie die ganze Welt gesehen, hatten Möglichkeit und Geld, sich überall niederzulassen. Warum sind Sie im Tal der Ahnungslosen geblieben?
Ich bin ein Heimatfan. Wenn ich von Reisen zurückkam, war ich selig, wieder in Dresden zu sein. Ich möchte nirgendwo anders leben. Die Elbe, das Blaue Wunder, die Sächsische Schweiz – was ist das für ein Reichtum an Natur und Lebensqualität! Diese Dinge beschäftigen mich mehr als früher. Erlebe ich noch mal ein Frühjahr? Es faszinieren mich einfache Dinge, etwa wenn ich Bohnen ins Hochbeet stecke, und es werden Pflanzen daraus. Auch deshalb habe ich eine Scholle in Kreischa, wo ich pflanze, ernte und verarbeite. Gerade wurde Johannisbeer­Konfitüre gekocht.

Sind Sie ein Gourmet­Mensch?
Auch, aber am meisten werden meine Eintöpfe gelobt. Der Eintopf ist sowieso mein Lieblingsessen. Gemüse, Kartoffeln und Rindfleisch – mehr braucht es nicht, um mich glücklich zu machen.

Verfolgen Sie eigentlich, was an der Semperoper passiert?
Natürlich, auch wenn ich selten reingehe. Am spannendsten finde ich ja, was bei der Kapelle passiert. Christian Thielemann kenne ich ja noch aus seiner Nürnberger Zeit. Da haben wir einen gefeierten „Palestrina“ zusammen gemacht. Als er noch Assistent bei Herbert von Karajan war, habe ich ihn komischerweise nicht wahrgenommen. Wahrscheinlich waren immer zu viele Leute um Karajan herum.

Der derzeitige Nürnberger Chef , Peter Theiler, wird neuer Intendant der Semperoper. Gibt Dresden mit einem Mann von einem B­Haus das Ziel Champions League der Opernwelt auf?
Das ist unsinnig. Erstens muss jemand die Chance bekommen, sich zu entwickeln. Außerdem muss man mal das Haus realistisch einschätzen. Unsere geografische Lage ist unvorteilhaft, die Verkehrsanbindung schlecht. Da kommen bestimmte Künstler und viele herumreisende Opernfreaks eher nicht. Wiederum müssen wir uns nicht unnötig kleinmachen. Wir haben ein hervorragendes
Orchester mit der Staatskapelle, die von den großen Konkurrenten in Wien und Berlin anerkannt ist. Aber es fehlt das Geld. Der Dresdner Etat ist im Vergleich zu Wien eben nur ein Etat für ein Stadttheater und nicht für die Champions League. Zugleich halte ich es für unnötig, dass die überall auftretenden Stars auch noch in Dresden singen müssen.

Eine andere Bühne interessierte Sie lange Zeit, die von Dynamo Dresden. Wie steht es um diese alte Liebe?
Ich bin generell ein großer Sportfan. Meisterschaften oder Olympische Spiele sind für mich Wochen vor dem Fernseher. Und ich mag eben Fußball sehr, weil er von spielerischer Intelligenz und den Ideen begabter Persönlichkeiten lebt. Im Idealfall ist es spannend und ein ästhetisches Vergnügen. Leider ist das bei Dynamo nicht mehr der Fall. Es gibt ständig Querelen. Dort kann sich nichts zum Positiven verändern, weil Leute das Sagen haben, die immer die falschen Entscheidungen treffen. Sicher, es ist schwierig, eine attraktive Mannschaft aufzustellen. Es fehlen die Sponsoren, und wenn mal ein guter Nachwuchsspieler hochkommt, wird er gleich weggekauft. Da schaue ich lieber nach Leipzig zu Red Bull. Sportdirektor Ralf Rangnick wird es richten. Der hat was im Kopf.

Wie nehmen Sie Pegida wahr?
Nehme ich nicht ernst. Ich glaube auch nicht, dass Pegida dem Dresden­Image schadet. Und die Unzufriedenen, die bei den großen Ansammlungen Anfang des Jahres dabei waren, haben ja recht. Es geschehen Dinge in der Politik, die nicht wahr sein dürften. Nehmen Sie das Lobbyistentum in Berlin, das Parteiengescharre um Posten – unglaubliche Verhältnisse.

Zurück zu Erfreulichem: Sie haben über 250 Platten aufgenommen, vorwiegend mit Mozart und Bach. Ihre größten Erfolge aber waren Weihnachtslieder und Operettenhits. Das Leichte also!

Diese Ausflüge nahmen mir erboste Fans tatsächlich übel. Dabei sind Hits wie „Dein ist mein ganzes Herz“ und „O sole Mio“ für den Tenor geschrieben und technisch sehr anspruchsvoll. Was man an stimmlicher Substanz braucht, wird stets unterschätzt. Die Texte mögen Geschmackssache sein. Aber die Lieder haben etwas, was aus dem Herzen kommt. Das ist nicht oberflächlich und sollte auch so nicht interpretiert werden. Deshalb habe ich die Operette genauso behandelt wie Mozart und Bach.

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