Weshalb
singen Sie auf Platte auch U-Musik-Titel, des Geldes wegen?
Nein, in Geldsachen habe ich eigentlich keine Sorgen. ich könnte
auch gut leben, ohne jene Titel zu singen. Ich singe sie, weil ich einem
Bedarf des Marktes erfülle, Hörerwünsche sozusagen. Ich
habe dabei natürlich eine Grenze zu ziehen - einige Titel haben eine
so schwache Substanz, daß man in der Auswahl sehr kritisch sein muß. Auch deshalb, weil ich
Bach-Sänger bin, ein großes Publikum habe, das Bach von mir
hören will. Und auch auf diese Hörer muß ich rücksicht
nehmen. Denn es gibt eine Unzahl unter ihnen, die
es nicht verstehen und sagen: "Wie kann der Mann so etwas singen,
wenn er auch Bach singt". Ich bin anderer Meinung. Es kommt auf die
Einstellung an, mit der man jeweils hier Bach, dort U-Musik singt; darauf,
wie U-Musik gesungen wird. Wichtig ist, daß
ich mich in der Stilistik der verschienen Genres zurecht finde,
nie die Bereiche vermenge, Bach oder Mozart es nicht anmerken lasse, daß ich auch einmal eine sogenannte Schnulze singe. Dazu gehört sowohl
eine innere Einstellung als auch die stimmtechnische Konsequenz daraus.
Und - so, wie ich gern guten Jazz und gut gemachte Unterhaltungsmusik
höre, neben Beethoven und Bruckner eben, so meine ich, auch beides
interpretieren zu können.
Operette
singen Sie aber nicht?
Nein, gar nicht - Operette singen ist auch sehr schwer. Léhar-Operetten
beispielsweise haben es sehr "in sich", hinsichtlich dessen,
was gerade vom Tenor verlangt wird. Das ist wahnsinnig anstrengend. Und
da käme die Gefahr auf, daß
ich mir die Stimme für Mozart oder Bach ruinierte. Tauber
etwa war ein stimmliches Phänomen, außerdem zog er, wenn man
hart urteilen will, die stilistischen Grenzen zum Lied, zu Mozart nicht
so exakt, ließ in sein Mozart-Singen eben doch Operette-Stilistik
eindringen. Für die Operette freilich hatte er einen ungeheuer guten
Geschmack.
Es ist auch eine Frage des Timbres: Sie singen hell und klar, nicht
schmalzig genug für die Operette.
Das stimmt. Es ist Geschmackssache, ob man
mehr hell oder dunckel singen will. Viele meinen, Mozart oder Bach müßten
hell gesungen werden, ich finde es nicht. Wie ich
färbe, weiß ich eigentlich nicht, ich tue es eben. Eigenartigerweise empfinde ich
selbst meine Stimme als dunkel, während viele sagen, sie hörten
sie als eine helle Stimme. Es gibt sicher auch verschiedene Hör-Kriterien.
"Was ist hell", müßte man fragen. Ich versuche, bis
in die äusterte Höhe, also bis zum "a"und "b"
klar und hell zu bleiben. Dramatische Tenöre gehen bereits bei "g"
in eine Verdunkelung, dunkeln die Töne ab. Das ist nicht mein Bestreben.
Hängt das alles auch damit zusammen, daß
Sie bei den Kruzianern ausgebildet wurden oder ist es vom Stimmtyp her
vorgegeben?
Hier
berühren Sie eine entscheidende Frage. Ich bin natürlich geprägt
vom Klang - und von der Stilistik - der sächsischen Knabenchöre.
So ist für mich das instrumentale Singen die schönste Form des
Singens. Unbewußt
bringe ich diese Dinge alle in meine Sängerlaufbahn ein - ich bin
also vorbelastet. Was man in der Jugend gelernt hat, das bleibt - und
ich will auch gar nicht von diesen Eindrücken weg. Es ist also theoretisch
möglich, daß ich, hätte ich jene Ausbildung nicht mitgemacht,
ein italienischer Tenor geworden wäre.
Vermissen Sie - als etwas, was man gern hinzunähme - das italienische
Legato-Singen nicht?
Das vermisse ich für mich überhaupt nicht, obwohl ich es
von italienischen Stimmen gern höre - wobei ich italienische Männerstimmen
lieber als die weiblichen höre, für die ich nicht das Ohr habe.
Ich bringe auf meine Art für die Literatur, die mich interessiert,
genügend stimmliche Mittel mit, die auch noch längst nicht ausgeschöpft
sind. Für mich gesehen: ich fühle mich nicht als Stimm-Fetischist
oder -Fanatiker, weil ich, pauschal gesprochen, in erster Linie Musik
machen will. Ich will auf jeden Fall vermeiden, daß das Singen langweilig
werden könnte. Ich möchte alles interessant gestalten - auch
wenn es sich um ein Volkslied handelt, das - mit seiner Geschichte - zu
einer kleinen dramatischen Szene werden muß.
Sie suchen also - wie in der Oper - eine textbezogene Interpretation?
Ja, denn wie gesagt, Stimme nicht als Selbstzweck ist mein Prinzip.
Auch wenn ich in der Oper gewissen Beschränkungen unterworfen bin
- durch Regie, durch den Dirigenten, durch räumliche Entfernungen
-, so habe ich doch im Lied, im Konzert Möglichkeiten, meine Vorstellungen
zu realisieren. Ideal bleibt, wenn man Text und Musik auf einen Nenner
bekommt. Ich neige zwar mehr dazu, den Text zu bevorzugen, bemühe
mich aber, aus dem Text die Möglichkeiten zu suchen und zu finden,
die einmal die Melodie zeigt, auf der anderen Seit die Diktion. Fast in
allen Liedern ist das möglich. Und wenn der Text - denken wir an
die Oper - nicht Anlaß gibt, ihn zu betonen, hat der Sänger
ja noch sein Timbre, auf das er sich verlassen kann. Wo der Text ihn im
Stich läßt, muß er mit stimmlichen Mitteln den Ausdruck
finden.
Gibt es aber nicht auch Diskrepanzen zwischen
Text und Musik, etwa bei Schumanns Heine-Liedern - wie entscheiden Sie
sich dann? Für wen?
Das ist ein gesondertes Problem. Bei diesem Beispiel finde ich auch,
daß Schumann Heine nicht ganz verstanden hat, hinsichtlich der Ironie
vor allem; es geht nicht alles konform. Da die Musik hier aber so stark
ist, im Vordergrund steht, entschiede ich mich für Schumann, verzichte
auf das Hintergründige von Heine.
Wenn Sie hier Lied, dort Oper singen - steuern
Sie das, um nicht zu schnell umschalten zu müssen, so daß der
eine Teil unter dem anderen leiden würde?
Ich liebe die Abwechslung. Ich habe es nicht gern, vierzehn Tage nur Liederabende
zu singen. Ich muß dazwischen Oper oder Oratorium singen. Ich machte
kürzlich eine Liedertournee durch große Städte Osteuropas.
Da habe ich - vorgeplant - eine Woche Wien dazwischengeschoben, in der
ich zweimal die "Cosi" sang, um nicht in die Routine zu verfallen.
Ich wechsle ganz absichtlich, weil ich meine, daß man heute beispielsweise
nicht nur Liedersänger sein sollte. Ich glaube, daß die Oper
gewinnt, wenn man immer wieder das Lied dazwischen pflegt - und umgekehrt.
Beim Lied muß man instrumentaler und kontrollierter singen, was
der Oper zugute kommt. Wenn ich heute Mozart stilgerecht bringen will,
ist instrumentales Liedsingen die Voraussetzung. Stilgerecht heißt
da für mich, daß sängerische Unarten, die sich immer wieder
beim Operngesang einschleichen, bei Mozart viel schwerer ins Gewicht fallen
als bei den späteren Komponisten. Man kann also bei Mozart nicht
schlampen. Solange ein Sänger von der Stimme her Mozart singen kann,
sollte er sich bei Mozart stets kontrollieren, auch wenn er lieber Wagner
singt.
Wir reden hier miteinander, obwohl Sie heute
Abend zu singen haben - viele Ihrer Kollegen scheuen sich, zu sprechen,
wenn sie am Abend singen.
Manche reden zwei Tage vor dem Auftritt kein einziges Wort. Ich halte
das für übertrieben. Ich singe mich mit dem Sprechen ein. Wenn
ich morgens aufwache, erste Töne spreche, weiß ich schon, in
welcher stimmlichen Verfassung ich bin. Wenn sie nicht gut zu sein scheint,
dann muß ich mich extra einsingen. Da hat jeder seine eigene Methode.
Ich wähle eine etwas gefährliche - ich lasse die Stimme immer
von der vollen Stimme in das Falsett umschlagen, um das Punkt zu finden,
wo die Stimme im Kopf anschlägt. Ich spreche auch in meiner Stimmlage,
so daß mich das Sprechen nicht anstrengt.
Was ist es, das Sie anstrengen und die Stimme gefährden könnte?
Das viele Reisen, das Umschalten in klimatischer Hinsicht, die Anspannung,
jeden Tag das Äußerste geben zu müssen, weil man den hochgeschraubten
Erwartungen des Publikums entsprechen möchte. Und so schränke
ich, um den Körper, die Nerven zu schonen, das Reisen etwas mehr
ein als es früher der Fall war. So verlockend es wäre, jetzt
beispiesweise einem Ruf der Met zu folgen, im "Giovanni" zu
singen oder nach London an die Covent Garden Opera zu gehen, was man mir
angeboten hatte.
Können Sie die DDR zu Gastspielen ungehindert
verlassen oder haben Sie wie die sowjetischen Kollegen Zeitbeschränkungen?
Ich weiß nicht, wie es den Kollegen in der Sowjetunion geht,
ich kann singen, wo ich will, ohne Beschränkungen. Das wird natürlich
mit unserem Ministerium für Kultur abgesprochen.
Wie oft haben Sie an der Berliner Staatsoper zu singen?
Ich habe einen Vertrag für 35 Abende, den ich erfülle;
ganz gleich, welche Rolle ich aus meinem Repertoire singe - es ist auch
einmal ein Holländer-Steuermann dabei. Hinsichtlich der Termine nennt
der Vertrag den Passus "im beiderseitigen Einvernehmen".
Werde die Engagements von Ihnen oder von der staatlichen Agentur bestimmt?
Die Engagements kann ich selbst bestimmen, die Abwicklung erfolgt
über die Künstleragentur - auch die finanzielle: ich gebe einen
gewissen Prozentsatz ab, ein anderer bleibt mir.
Gilt die für Sie praktizierte Reisefreiheitzügigkeit
auch für Kollegen?
Die DDR sieht natürlich darauf, daß ihre Künstler
mit repräsentativen Aufgaben und an entsprechenden Orten auftreten.
Ich glaube, daß relativ viele reisen - so traf ich Kollegen von
verschiedenen DDR-Opernhäusern kürzlich in Wien.
In Dresden, wo Sie
Ihr Haus haben, Ihre Familie wohnt, machen Sie bevorzugt Schallplatten-Aufnahmen,
singen öffentlich aber nur selten.
Ich singe regelmäßig Konzerte oder Oratorien. Allein vom hochmodernen
Aufnahmestudio der Lukaskirche her - dem schönsten, das ich kenne
-, dann durch die Dresdner Staatskappelle bin ich tatsächlich oft
zu Schallplattenproduktionen in Dresden. So habe ich gerade für Eurodisc
die Schubert-Sinfonien Nr. 5 und Nr. 7 als Dirigent aufgenommen.
Sie Arbeiten mit fast allen Firmen zusammen - wie
geht das?
Nun, ich bin exklusiv gebunden an VEB Schallplatten, werde aber freigegeben,
wenn es sich aus firmenpolitischen Gründen machen läßt,
um dort zu singen oder mitzuwirken, wo es verlangt wird. So habe ich mit
Karl Richter für die Archiv-Produktion gearbeitet, die jungen Mozart-Opern
in Salzburg aufgenommen - alles keine Koproduktionen mit VEB Schallplatten;
auch nicht die h-moll-Messe unter Karajan. Koproduktionen kommen natürlich
auch vor, so kürzlich die "Genoveva" von Schumann
in Leipzig mit Edda Moser und Fischer-Dieskau - für VEB und EMI.
Welcher Pläne gibt es?
Drei neue Liedplatten pro Jahr. Zum Beispiel eine Strauss-Platte
und eine mit unbekannte Schubert-Liedern. Dann altdeutsche Volkslieder.
Eine Gesamtaufnahme des Idomeneo unter Karl Böhm in Dresden. Um nur
einige Produktionen herauszugreifen.
Inwieweit müssen Sie als Sänger auf normales menschliches Leben
verzichten?
Ich versuche, so normal wie möglich zu leben, da ich nicht Sklave
dieses Stimmapparates sein will. Das bezieht sich nicht nur auf die Freizeit,
sondern auch auf die ganze Einstellung. Ich möchte also zum Beispiel
nicht jeden Tag mit einem dicken Schal herumlaufen, möchte unter
keinen Umständen auf ein schönes kaltes Bier oder auf einen
Fußballspiel-Besuch verzichten, nur weil ich Sänger bin, der
sich nicht unter Menschen wagen sollte, um sich nicht etwas zu holen.
Aber Sie beschäftigen sich praktisch immer mit Musik?
Weitgehend schon - wenn ich lese, dann zumeist Literatur, die zur
Musik gehört. Ich kann mir auch meine Freizeit nicht ohne Musik vorstellen.
Ich muß Partituren lesen - das aber nicht als Zwang, sondern weil
es mir ein Bedürfnis ist. So ist auch das Dirigieren nicht anderes
als eine Variante des Musikmachens; wie ich auch mit der Stimme letztlich
nur musizieren will. Übrigens habe ich schon vor vielen Jahren, als
es die Mode des Dirigierens von Instrumentalisten oder Sängern noch
nicht gab, mit dieser einst ja auch richtig erlernten Tätigkeit angefangen.
Das ist also kein Fimmel von mir, sondern entspricht meiner Neigung, mit
Chor und mit Orchester zu arbeiten, meine Vorstellung von der Musik Bachs
und Händels, die ich sehr viel gesungen habe, nun als Dirigent zu
realisieren.