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Opernwelt 09/10 2012

Ich war egoistisch“

Er war der Vorzeige-Tenor der DDR. Eine Naturbegabung, die bei den Dresdner Kruzianer unter Rudolf Mauersberger den entscheidenden Schliff erhielt. Auch als Peter Schreier längst zwischen Salzburg, Wien und New York Oper sang, blieb die „oratorische“ Prägung der Stimme hörbar. Ein Gespräch über die Anfänge in Ost-Berlin, den „Mozart-Fanatiker“ Josef Krips, Wagner Debüts unter Karajan, instrumentales Singen und eine Karriere unter realsozialistischen Bedungen.

Von Kai Luehrs-Kaiser

Herr Schreier, Sie sind als Oratorien- und Liedsänger berühmt geworden. Die Oper kam erst später dazu?
Ja, so ist es. Meine Entwickelung ging vom Dresdner Kreuzchor aus, von der Affinität zu den alten Meistern. Warum bin ich überhaupt zur Oper gekommen? Ich werde es Ihnen sagen: Eine Gesangskarriere kann man nicht ohne Oper machen.

Fühlten Sie sich zur Oper gedrängt?
Zumindest wurde ich in diese Richtung gedreht. Von der Stimme her war klar, dass Mozart dabei an erster Stelle stehen würde. Stark beeinflusst hat mich Josef Krips. Ich hatte durch einen Zufall in Ost-Berlin den damaligen Leiter des Wiender Musikvereins, Rudolf Gamsjäger, kennengelernt. Der war sehr gut mit Krips befreundet. Krips hörte mich im Musikverein, und trieb die Sache für mich voran. Das muss Mitte der sechziger Jahre gewesen sein.

Da haben Sie doch schon Oper gesungen?
Ja, erst im Dresdener Staatsopernstudio und dann an der Berliner Staatsoper. Das habe ich damals aber eher gemacht, weil ich mich weiterentwickeln wollte. Wichtig war mir immer, dass ich an einer großen Bühne engagiert bin.

Warum das?
Es hätte ja auch die Möglichkeit bestanden, zum Beispiel nach Gera oder Altenburg zu gehen und dort frühzeitig anspruchsvollere Partien zu singen. Aber unter solche Umständen wäre meine Stimme wahrscheinlich kaputtgegangen. Das hätte ich nicht geschafft.

Heute würde man umgekehrt sagen: Die größeren Häuser sind die gefährlicheren.
Stimmt aber nicht. Man wird – oder wurde zumindest damals – an großen Häusern längere Zeit mit kleineren Rollen betraut, bevor man die ganz großen Sachen machen durfte. Man lernte dieses gewisse Fluidum kennen, diese Gefühl: „Jetzt kommt’s drauf an!“ Der Erste Gefangene im „Fidelio“ zum Beispiel ist ja keine große Partie. Aber sie liegt sehr exponiert, und dann stehen lauter Chor-Leute um einen herum, die alle wie die Geier warten: „Schafft er das?“ Das schult.

Was genau hat Josef Krips Ihnen geraten?
Er sagte: „Sie müssen unbedingt bei der Oper bleiben und alle Mozart-Partien singen.“ Eigentlich eine ziemlich vage Voraussage.

Er hat recht behalten?
Ja. Und er hat mich nach Amerika empfohlen. Er lebte während der Krieg ja in San Francisco. Ich hatte auch persönlich sehr gute Beziehungen zu ihm. Krips war ein Fanatiker: ein Mozart-Fanatiker. Wenn in einer Woche – was selten vorkam – dreimal „Don Giovanni“ und der mal „Così fan tutte“ angesetzt war, bestand er vor jeder einzelnen Aufführung auf einer ausgiebigen Probe. Natürlich immer mit Blick auf die neuralgischen Stellen. In der „Dalla sua pace“-Arie zum Beispiel neigen viele Sänger - auch ich! – ein bisschen dazu, das „pace“ nicht hoch genug zu nehmen. Sein Handzeichen kam immer schon vorher! Er hat mit jedem von uns mitgefühlt, war total im Stoff.

Glauben Sie, dass dieser Blick für die heiklen Punkte einer Partitur  repräsentativ war für die damalige Probetechnik?
Ja, unbedingt. Ws gab allerdings auch das genaue Gegenteil. Karl Böhm ließ bei Ensembleproben alles durchsingen. Einfach dursingen – und man durfte ja nicht „zu tääf“ singen und „net schleppen“. Die beiden Sachen: Nicht schleppen und nicht tu tief singen, das waren für ihn die Maximen einer gelungenen Ensembleprobe. Da war ich denn doch einigermaßen enttäuscht. Er wirkte natürlich durch seine Persönlichkeit, durch seine Knorrigkeit. Jeder hat sich zusammengerissen.

Christa Ludwig sagte einmal, Böhm war der einzige ihrer großen Dirigenten gewesen, der von Stimmen etwas verstand. Anders als Karajan oder Bernstein.
Böhm war gewiss derjenige, der Stimme richtig einzusetzen verstand. Keine Experimente! Karajan dagegen hat immer wieder Versuche gemacht. Bei mir war es der Loge im „Rheingold“. Das war mutig.

Übrigens nicht auf Platte, sondern nur im Film. Warum?
Die Gesamtaufnahme war schon fertig. Wir sind erst später darauf gekommen, als Karajan damit begann, den „Ring“ auf Video aufzuzeichnen – was über „Rheingold“ nie hinausgekommen ist. Ich hatte mit Karajan zuerst die „Matthäus-Passion“ gesungen. Nach der Aufnahme – ich weiß es noch wie heute – sagte er: „Wenn ich Sie so höre, müssen Sie ein wunderbarer Loge sein.“ Ich kannte die Rolle nicht einmal. Dann hat er mich eine Platte mitgegeben, auf der Gerhard Stolze den Loge sang.

Das war Karajans eigene Aufnahme.
Ja. Für mich war das damals totales Neuland. Ich hatte Befürchtungen, dass ich das stimmlich nicht durchhalte. In einer Szene, bei „Ohe, ohe“, bricht man wegen des lauten Orchesters sowieso ein. Da kann man nur noch die Hand heben, damit man überhaupt wahrgenommen wird. Ich kann mich auch erinnern, dass ich damals Probleme mit der Kurzsichtigkeit hatte. Wenn ich von der Seite her auftrat, habe ich nichts gesehen von lauter Licht. Ich sagte ihm also: „Meister, ich habe ein bisschen Bedenken, ob ich das schaffe.“ Da sagte er: „Machen Sie sich gar keine Gedanken: Ich begleite Sie!“ Und er hat mich wirklich getragen. Er hat mir so frei Hand gelassen, dass ich mir bei bestimmten Phrasen Zeit nehmen oder rezitativischer Singen konnte.

Besteht das wirkliche „Wunder Karajan“ darin, dass er den Sängern solche Freiheiten gewähren konnte, und zwar ohne die mindeste Einbuße bei der musikalischen Handschrift?
Genau das scheint mir der Fall. Dann kam bei Karajan für mich der David in den „Meistersingern“. Erst die Schallplattenaufnahme in Dresden, dann szenisch in Salzburg.

Wer kam auf diese Idee?
Karajan selbst. Ich war damals ziemlich unbedarft auf dem westlichen Parkett. Auch Gagen anbelangt. Ich wusste überhaupt nicht, was man da verlangen kann. Da schickte mich Karajan wegen des Vertrags zu seinem Assistenten André von Mattoni. Wir saßen und unterhielten uns. Plötzlich ruft seine Sekretärin, und er geht raus. Da fällt mein Blick, wirklich unabsichtlich, auf seinen Schreibtisch. Liegt da doch der Vertrag vom Ridderbusch! Und ich sehe, was der für eine Gage bekommt. Da bin ich blass geworden. Und wusste, was ich zu tun hatte. Es wurde sofort genehmigt.

Ein Wendepunkt in Ihrem Gagen-Leben?
Absolut!

Erstaunlich bleibt, dass Ihre Stimme in ihrer gesamten Laufbahn knabenhafte Facetten behalten hat. Liegt das an Ihren Wurzeln im Kreuzchor?
Wahrscheinlich haben Sie recht, daran liegt’s wohl.

Es gibt da auch noch ein Quäntchen sakraler Keuschheit im Timbre….
Stimmt. Für mich stand immer das instrumentale Singen im Vordergrund. Ich habe nie etwas übrig gehabt für wilde Ausbrüche, zum Beispiel im großen italienischen Fach. Ich liebe es sehr, aber nur aus der Ferne. Instrumentales Singen bedeutet für mich, die Stimme wie ein Instrument zu behandeln: gleichberechtigt neben anderen Instrumenten. Das ist die Schule, die ich im Kreuzchor durchgemacht habe: sich unterzuordnen im positiven Sinn.

An wem heben Sie sich damals orientiert?
Natürlich hatte ich Vorbilder, Walter Ludwig zum Beispiel. Aber eigentlich habe ich immer eher versucht, meine eigene Klangwelt zu entwickeln und zu behalten. Und darauf geachtet, sie mir nicht kaputtmachen zu lassen. Der Max im „Freischütz“ war so ein Grenzfall. Den hätte ich niemals auf der Bühne gesungen. Carlos Kleiber wollte mich unbedingt für seine Aufnahme haben. Er sehr gut befreundet mit Karl Richter, mit dem ich viel gearbeitet habe.

Nach ein paar Rückblicke: Sie haben 1945 buchstäblich in den Trümmern von Dresden begonnen. Glaube Sie, dass auch die Erfahrung dieser Zeit in Ihrer Stimme Spuren hinterlassen hat?
Vielleicht schon. Der Kreuzchor  wurde am 1. Juli 1945 wieder zusammengerufen. Wir saßen am Rande von Dresden und haben ein halbes Jahr lang nichts als probiert. Sechs Stunden täglich. Keine Schule, keine Ablenkung. Es war das Wichtigste überhaupt. Das hat mich klanglich unwahrscheinlich geformt.

Welchen Einfluss hatte der legendäre Rudolf Mauersberger?
Mauersberger war ein Art „Klangregler“. In der Vorarbeit war er ziemlich großzügig, wenn man das mit heute vergleicht. Wir haben ziemlich viel rumgeschludert. Dynamik, Phrasierung, Artikulation – das war keineswegs immer exakt. Aber er hat eben sehr genau gewusst, welche Stimmen er zusammenbringen kann, um ein gutes Klangbild zu erzielen, und welche weiter auseinander setzen muss. Und er hat schnell erkannt, dass meine Stimme keine gewöhnliche Knabenstimme war.  Mauersberger hat den Klang der Stimmen nicht in einer bestimmten Richtung gefordert, sondern in ihrer Individualität.

War diese gewisse Härte und Strahlkraft in Ihrer Stimme von Anfang da?
Nein, durchaus nicht. Die etwas metallischere Färbung habe ich mir erst später angeeignet, und zwar aus einem gewissen Zwang heraus. Auf der Opernbühne muss die Stimme durchsetzungsfähiger sein. Ich hatte übrigens mit dem Loge das Glück, dass mir kurz vor dem Karajan-Engagement plötzlich die Berliner Staatsoper die Möglichkeit anbot, die Partie schon mal auszuprobieren. Das hat sehr geholfen.

Sie sind Anfang der sechziger Jahre an die Berliner Staatsoper gekommen. In welchem Zustand haben die das Haus damals vorgefunden?
Otmar Suitner war noch nicht da. Heinz Fricke war, glaube ich, der geschäftsführende Generalmusikdirektor. Es war eine ganz kuriose Geschichte. 1960 hatte Horst Richter, der aus Dresden stammende Dramaturg, von mir gehört. Er sorgte dafür, dass ich zum Vorsingen eingeladen wurde. Ich kam also nach Berlin, und man sagte:: „Ja, alles ganz schön, aber da muss noch eine Entwickelung stattfinden. Kommen Sie später wieder.“ Dann kam die Mauer. Und mit der Mauer bleiben etliche Sänger weg. Julius Katona zum Beispiel. Auch Gerhard Unger. Da waren sie in Verlegenheit und haben mich kontaktiert, ob ich nicht eine „Entführung“ singen könnte.  Das war, glaube ich, im März 1962. Plötzlich war ich für die Berliner Staatsoper der richtige Mann.

Als Lückenbüßer?
Schon nach zwei, drei Vorstellungen bekam ich einen festen Vertrag. Mit der Maßgabe, dass ich in Dresden wohnen bleiben kann und das in Bezug auf das Fach keine Experimente gemacht werden. Das hieß: Mozart, „Lustige Weiber von Windsor“, später kann Leukippos in „Daphne“ hinzu. Und dann bin ich vierzig Jahre geblieben.

Leipzig war nie eine Option für Sie?
Leipzig hatte irgendwie kein Opern-Fluidum. Das neue Haus stand noch nicht. Es gab aber auch keine Einladungen. Ich habe, glaube ich, ein einziges Mal als David gastiert. Das war nicht interessant. Berlin dagegen, trotz der Mauer, war international. Hat sich auch ausgezahlt, Der Gansjäger kam von West-Berlin rüber und hörte mich als Don Ottavio. Davon habe ich profitiert. Nach Dresden kam in dieser Zeit aus dem Westen kein Mensch.

Gab es damals an der Berliner Staatsoper noch mehr Sänger, die international hätten Karriere machen können?
Worauf wollen Sie hinaus? Ich meine, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Man musste natürlich schon selbst etwas dazu tun.

Nämlich?
Ehrgeiz haben und vielleicht auch mal nach unten treten. Ich meine, so wie man sich verkauft…. So wie man sich bettet, so schläft man. Ich habe kürzlich die Kommentare meines Vorsingen in Berlin angeschaut. Spielleiter, Dramaturg, Kapellmeister, die alle haben natürlich ihre Kommentare angegeben. „Macht einen guten Eindruck“, „Ist etwas gehemmt“ und so. Interessant war, dass sie alle sagten: „Ist mit großer Musikalität ausgestattet.“ Ich fragte mich, woher die das beurteilen konnten? Das würde ich einem Kapellmeister noch zubilligen…. Jedenfalls hatte ich immer so den Touch des musikalischen Sängers. Das wollte ich gar nicht so sehr. Denn, schauen Sie, von der Stimme sagten sie nichts!  Immerhin, vielleicht hatte ich durch diese Schiene das Glück, eine außergewöhnliche Karriere zu machen.

Welche Schritte mussten Sie direkt einleiten, damit das möglich wurde?
Man brauchte jemanden, der einen gleichsam „rausengagiert“ hat. Ich hatte dafür – außer Gamsjäger – noch ein paar andere entscheidende Leute, zum Beispiel den Dirigenten Karel Ancerl. Er hat mich den Prager Ensemble für ein Gastspiel nach Montreux engagiert. Dort hat mich wieder jemand von der Genfer Oper gehört oder vom Orchestre de la Suisse Romande. So kam eins zum anderen.

Kam man dann in der DDR auf die Idee: Mit dem Jungen können wir Geld verdienen?
Das wäre zu einfach. Denn es ging eigentlich um lächerliche Beträge. Allerdings hatte man schnell begriffen: Mit dem Mann können wir zeigen, das sind in der DDR Musik gemacht werden.

Sie bekamen eine gewisse Botschafterfunktion. War Ihnen das Recht?
Ich hab’s hingenommen. Ich war vielleicht auch zu egoistisch. Ich wollte halt meine Karriere machen. Soll ich mich einkasteln und sagen: „Weil die andern nicht dürfen, fahr ich auch nicht“? Es war peinlich genug, wenn ich wieder nach Hause kam. Ich konnte meinen Freunden nicht in den wärmsten Tönen erzählen, wie schön es am Genfer See ist oder beim Lincoln Center in New York. Da musste man sich schon zurückhalten. Ende der siebziger Jahre wurden es dann freizügiger. Da konnte ich meine Frau mitnehmen. Und nach Salzburg meine Kinder. Ich war 25 Jahre hintereinander jeden Sommer in Salzburg. Das war die gesamte Ferienzeit einer Kinder.

Hat es Sie wirklich nicht gestört, als „Exportschlager der DDR“ zu gelten?
Nein, denn es war nur eine mediale Formel. Ich habe gelegentlich auch bei Staatsempfängen gesungen. Aber erstens geschah das selten und zweitens musste das der Hermann Prey im Westen auch. Wir mussten alle mit den Verhältnissen klarkommen.

Gab es ein Blankovisum für Sie?
Ja. Wobei die Künstleragentur der DDR die Verträge abschloss. Gottseidank konnte ich mich ausklinken bei Verträgen mit der Wieder Staatsoper und der Münchner Staatsoper. Die habe ich direkt mit dem Ministerium für Kultur ausgehandelt. Wolfang Sawallisch schrieb: „Wir brauchen den Schreier für zehn oder fünfzehn Vorstellungen.“ Auch zu den Olympischen Spielen wollte er mich haben, für eine Aufführung der Neunten von Beethoven. Aber da war auch ein Sänger aus Westdeutschland engagiert. Da hat die DDR gesagt: „Das kommt nicht im Frage.“

Auch Westberlin ging nicht?
Nein, nur durch Karajan bin ich nach Westberlin gekommen. Ihn konnte man nicht vor den Kopf stoßen. Ich war nur ein einziges Mal an der Deutschen Oper. Als Tamino. Götz Friedrich hatte das eingefädelt.

Was hat sich in Ihrem Künstlerleben durch die Wende verändert?
Gar nichts. Die Kontakte, die ich bis dahin hatte, konnte ich weiter verfolgen. Ich brauchte keine Künstleragentur mehr. Ich war eh ein auslaufendes Modell. Der Höhepunkt meiner Karriere war vorbei.

Wann würden Sie den Höhepunkt Ihrer Karriere ansetzen?
Tja, Mitte der achtziger Jahre vielleicht. Der Mime im „Siegfried“ hat mich damals gefesselt. Auch die „Zauberflöte“ mit Jean-Piere Ponnelle in Salzburg, unter James Levine, war ein absolutes Highlight für mich.

Sie haben damals auch schon dirigiert?
Ja, aber das habe ich nur aus Spaß gemacht. Ich werde heute gerne auf die Dirigentenschiene geschoben. Diese Erwartungen will ich aber gar nicht erfüllen. Ich habe mich nie als Dirigent, sondern immer als Sänger gesehen.


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