In Ihrem Platten- und Konzertrepertoire gibt es einem
Tonbestand, denn man auch bei manchem Sängerkollegen wiederfindet: Partien,
bei denen Sie keinen Hehl daraus machen, niemals an eine Bühnerealisierung
zu denken. Ich denke an solche exemplarische Fälle wie den Freischütz-Max
oder den Fidelio-Florestan, und - vorerst - ist auch der Siegfried-Mime
hinzuzurechnen. Welche Reiz haben solche Partien für Sie?
Bei Mime liegt das etwas anders. Diese Partie ist sehr auf Deklamation
und Diktion aufgebaut. Die tiefgründige Orchesterbehandlung: erst das
Wort sprechen lassen und danach erst die Musik, Höhepunkte aufbauen,
in denen die Wortsprache klar un deutlich artikuliert werden kann, und darauf
den dramatischen Akzent mit der Musik setzen! Besonders in der fulminanten
Rätselszene erschloß
sie mir das Genie Richard Wagners in allen Deutlichkeit. Eine musikalische
und dichterische Intelligenz liegt darin, ein einmaliger Höhepunkt in
Wagners Schaffen und vielleicht auch einer der ganzen 19. Jahrhunderts. Lassen
sich mich nur den zweimal wiederholten Anfang herausgreifen: "Zwangvolle
Plage, Müh' ohne Zweck!" Zuerst als scheinbar dahingesagt, dann
ein paar Seiten später in der Partitur, bricht es mit unglaublicher Verschärfung
wieder musikalisch hervor! Diese Genialität hat mich erneut darin bestätigt,
meine Abneigung gegen diesen Komponisten einzugrenzen, die ich wegen seiner
teilweise spekulativen Wirkung auf den Hörer hatte und habe. Denn ich
glaube, daß
in manche Details deiner Opern auch durchaus niedere Instinkte angesprochen
werden, Emotionen ausgelöst werden, die hart an der Grenze zu chauvinistischem
Gedankengut liegen. (......)
Und bei Max' "Durch die Wälder, durch die Auen ...."?
Bei Weber liegen die Sachen wieder anders. Es fing damit an, daß
Carlos Kleiber wünschte, den Freischütz mit mir als Max
zu produzieren, ansonsten würde er von dieser Aufnahme zurücktreten.
Ich zögerte lange, da diese Partie einen baritonal gefärbten Tenor
verlangt und relativ tief liegt. Zurückschauend möchte ich ich diese
Studioarbeit mit Kleiber in keinen Fall mehr missen, denn während dieser
Aufnahme habe ich wieder ganz neu gelernt, dass es bei gültigen Interpretationen
prinzipiell keine Kompromisse geben kann - entweder man zieht bedingungslos
mit oder lässt es sein. So hart diese Zeit auch war, so wertvoll war
sie für meine künstlerische Entwickelung. Die Frage ist freilich,
darf man das Publikum so "verkohlen" und sagen, das geht zwar auf
der Platte, aber auf der Bühne nicht?! Schließlich
muss auch die Figur physisch dahinterstehen, was bei einer Partie wie dem
Max zwar von Take bis Take, von Aufnahmetag zu Aufnahmetag möglich war,
aber wenn ich meinen Mozart bewahren will, kann ich nicht diese Heldentenorpartien
auf der Bühne singen. So wird es die berühmte Ausnahme von der Regel
sein. Den Leipziger Rundfunk-Florestan habe ich fast schon vergessen ......
Wie lautet Peter Schreiers Auffassung zur Tonkonserve
generell?
Hier möchte ich differenzieren. Ich bekenne, daß
mir nur in ganz wenigen Fällen Studioaufnahmen glücklich gemacht
haben. Die Schallplatte ist für mich - ganz spezifisch als vortragender
Künstler - immer noch und immer wieder ein Rätsel. Die Aufnahmen
kommen unter den Zwang zustande, etwas Perfektes für die Ewigkeit zu
produzieren, und dadurch vergißt
man dann bei der Aufnahme seine Umwelt, sein Ich, konzentriert sich nur auf
diese Maxime, nur auf das Mikrophon.
Der Gegenbeweis ist mein Salzburger Liederabend mit Jörg Demus (1977).
Nie hätte ich geglaubt, daß
dies eine schallplattenreife Sache wird. Und selbst wenn ein
Detail einmal nicht hundertprozentig stimmt, der Live-Charakter des Abends
im Kleinen Festspielhaus überträgt sich mit ganz eigenem Reiz auch
für den Schallplattenhörer.
Bei meinen Mozart-Opern, die im Studio produziert wurden, fällt mir am
intensivsten auf, welche Entwickelung meine Stimme durchgemacht hat. Allein
die Studio Così fan tutte - welche Sterilität bei dieser
tiefgründigen, hintersinnigen Musik! Freilich, alles ist sauber in das
Mikrophon gebracht, aber wo sind die Personenbeziehungen, wo das Ensemble-Spiel?
Im Hinterkopf hatte man immer den Gedanken: jetzt, diesen Ton, den wollen
dann die Hörer pieksauber hören, den musst du perfekt produzieren.
Ich wäre totunglücklich, wäre nicht auch die mitgeschnittene
Bühneproduktion von Così auf dem Markt. Denn auf der
Bühne spüre ich die Atmosphäre der Zuschauer, sieht der Zuschauer
den Sänger, sein Spiel, seine Erregung, seine daraus abgegleitete dynamische
Abstufung. Da ist es egal, ob jedes "fis" stimmt, der musikalische
Ausdruck ist das primär Wichtige, dieses im Italienischen so treffend
als "affettuso" Bezeichnete. Diese Sachlage wird das Medium Schallplatte
immer problematisch bleiben lassen, trotz Stereo-, Quadro- und Digitaltechnik!
So gehe ich mit der inneren Sicherheit in die Zukunft, daß
das Originalerlebnis einer Bühneraufführung oder Liederabends im
Konzertsaal nie zurückgedrängt werden kann. (......)
Trennen Sie bewußt
zwischen den Funktion Dirigent und Sänger Schreier, oder versuchen Sie
gemeinsamkeiten herauszufinden?
Ich bekenne mich zu einer bewußten
Trennung, auch wenn sie in Ausnahmefällen mein Name in beiden Funktionen
finden läßt.
Dann habe ich als Dirigent so intensiv vorgearbeitet, daß
die Musiker ganz genau um meine Interpretation wissen und ich mich voll auf
den Gesang konzentrieren kann.
Als Dirigent Schreier ergibt sich für mich auch ein ganz anderer Abstand
zum Mikrophon, und zwar nicht nur in Metern. Dabei manifestiert sich das Problem
Platte nicht so negativ, weil ich in diesem Fall "nur" Anreger eines
komplexen Klangeindruckes bin.
Als Sänger Schreier gab und gibt es für mich in den letzten Jahren
bei Tonaufnahmen nur die drastische Methode, mich vor allen Maßnahmen
und Hinweisen der Tonmeister und Aufnahmleiter zu lösen und das Gehirn
voll auf die Vortäuschung zu konzentrieren - du steht jetzt in einem
Zuschauerraum. Nur so gelingt mir ein vernünftiges Ergebnis.
Von Bach zu Wagner, wie bewaltigen Sie solche Vielfalt
an künstlerischen Handschriften in Schallplattenreife? Und wann begann
Ihre Bekanntschaft mit dem Werk Wagners?
Im Konzert-Repertoire der Kruzianer hatten wir auch das "Dresdner
Amen", das Wagner in Parsifal verwendet. Das war auf Jahre mein
einziger Bezugspunkt zu diesem Komponisten, meine Bekanntschaft mit der Kunstform
Oper begann generell erst mit dem Gesangsstudium, um das Alter zwischen sechzehn
und achtzehn Jahren. Es erfreut mich, daß
ich mir über die Jahre hinweg einen Zugang zum Werk Richard Wagners erarbeiten
konnte. Schuld daran ist, wenn man dieses Wort überhaupt anwenden darf,
Herbert von Karajan. Er sagte nach einer Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion:
"Wissen Sie, wenn ich Ihren Evangelisten so höre, müßten
Sie ein ausgezeichneter Loge sein!" Bis dahin kannte ich den Rheingold-Loge
überhaupt noch nicht. Karajan gab mich seine Platteneinspielung mit Gerhard
Stolze, und so beschäftigte ich mich erst einmal probeweise am Hörerlebnis
mit dem Klavierauszug in der Hand. Meine Frau war entsetzt und meinte echauffiert,
daß
ich "so etwas" doch nicht singen könnte, ich sei wohl.....
- Doch ich konnte mich dem eigenartigen Reiz dieser Partie nicht mehr entziehen,
durch immer intensiveres Werkstudium spürte ich ungeahnte Möglichkeiten
neuer stimmlicher Entwickelung auf.
Gewissermaßen
ein direkter Weg Ihrerseits von Bach zu Wagner, dank der Schallplatte!?
Ja, der Loge hat schon Gleichnisse zum Evangelisten in der Matthäus-Passion
aufzuweisen, gerade auch weil er inhaltlich auf ganz anderem Gebiet liegt.
Ich will sagen, im Sich-Identifizieren, im ganzen sängerischen Ausdruck,
den man für eine gültige Interprepretation einbringen muß:
die ganz persönliche Einfärbung zur Durchdringung der Partie, daß
nicht nur eine Deutung unter vielen zustande kommt, sondern eine spezifische,
persönliche Ausdeutung – dort liegt der entscheidende Punkt meines
Hineinkniens in die konträr scheidenden Aufgaben.
Apropos konträr scheinende Aufgaben: Hier den heiteren, jugendlich-verspielten
David, da den seiltänzerischen, verschlagenen Realpolitiker Loge. Ist
dieses Entweder-Oder für Sie gegenstandlos?
Von meiner Verlagerung her, von Natur aus, sehe ich mich mehr als David,
das möchte ich einmal so in den Raum stellen. Als Loge dagegen nicht.
Ähnlich geht es mir im Falle der Winterreise Schuberts. Diese
Liederzyklus schiebe ich immer und immer wieder vor mir her, weil ich mich
nicht mit der Hoffnungslosigkeit dieses schwermütigen Wanderers zwischen
den Welten anfreuen kann. Das bin ich nicht. Ich bin ein Frohnatur, wenn man
diesen Goetheschen Begriff hier benutzen kann. Aber gerade das Nicht-auf-der-Rolle-Liegen
hat wohl den “anderen” Peter Schreier herausgefordert, meine besondere
Intensität im Erarbeiten von Partien wie Loge und Mime. Beim David brauchte
ich mich “nur” zu geben, wie ich bin, jederzeit zum Flachsen und
Flapsen aufgelegt, im Prinzip unkompliziert. – Im Gegensatz dazu war
der Loge ein riesengroßes
Abenteuer für micht und im Energebnis eine tolle Bekanntschaft! Etwas
anders war es mit Mime, weil die Bekanntschaft in diesem Fall auch noch nicht
so alt ist…
Wie volzog sich Ihre Bekanntschaft mit der Wagner-Hochburg
Bayreuth?
Wissen Sie, von heute und hieraus betrachtet, klingt das womöglich eigenartig:
Es war für mich keine überragende Aufgabe, aber jeder Sänger
wird sich geehrt fühlen, wenn er nach Bayreuth eingeladen wird, da mache
ich keine Ausnahme. Ich fuhr also 1966 zum Grünen Hügel und sang
meinen Seemann, wage gar nicht, das als Wagner zu bezeichnen. Ganz unbedarft
habe ich auf der Seitenbühne des Festspielhauses gestanden, zwischen
den Choristen aus aller Welt, und mir war die ganze Tragweite einer Tristan
und Isolde-Aufführung unter Böhm in Bayreuth nur unbewußt
klar. Karl Böhm machte auch noch seine Späße
unten im Orchestergraben, klopfte während der Probe vor meiner Einsatz
ab mit dem Bemerken: “Den Sie jetzt hören werden, meine Damen und
Herren, das ist der Schreier aus Dresden, der kann sich diesen Namen sogar
leisten….” Wieland Wagner stand neben mir und machte mir Mut –
aber ich fragte mich selbst im Inneren, worüber man denn so aufgeregt
ist? Hineinleben in eine Sache kann ich mich eben erst dann, wenn ich musikalisch
von einer Partie überzeugt bin, wenn ich aus der Musik mit meiner Diktion
als Sänger für den heutigen Zuhörer Glaubhaftes gestalten kann;
wenn ein Intervall stimmig ist, wenn es mir gestattet, auch ein stimmlichen
und stimmigen Ausdruck zu modifizieren, vom Wort untermauert. Nicht nur eine
Partie vom Blatt absusingen, sondern kreativ und so natürlich als nur
möglich auszugestalten und auszufüllen. Dort liegt für mich
die entscheidenden Punkte meiner Wagner-Interpretation. Das kann man mit Mozart
s o nicht machen, das ist eine ganz andere Zeit, eine andere Art, ja - sogar
einen andere Dimension!
Wo sieht da der Mozart-Sänger per excellence, als
der Sie oft bezeichnet werden, die Grenze zwischen Mozart und Wagner? Ist
Ihr Mozart-Gesang jetzt durch Wagner oder wurde Ihre Wagner-Interpretation
durch Mozart geläutert?
Zunächst möchte ich ein Wort des bereits erwähnte, von
mir hochgeschätzten Mozart-Dirigenten Joseph Krips aufgreifen, der das
Problem treffend umriß:
“Ein Sänger, der Mozart singen kann, wird auch Wagner singen können”.
Hier liegt tiefere Wahrheit verborgen, als sie auf den ersten Blick ablesbar
wird. Ein Mozart-Sänger ist ja nicht etwa einer mit kleiner Stimme! Karl
Böhm betonte immer wieder zu Recht: “Mozart, denn muß
man ‘net säuseln!” Der Begruff einer grossen Stimme, für
Wagner immer wieder gefordert, heißt
keineswegs, daß
der Sänger ein übermächtiges Organ haben müße,
sondern hier zeigt sich, daß
eine Stimme gut sitzen muß.
Die Schallkraft ist entscheidend, nicht das bloße
Volumen, um über den Wagnerschen Orchesterapparat hinweg die Stimme tragfähig
zu halten. Der Gesamtkomplex Mozart verlangt von Sänger gerade die Überbrückung
des zumeist als “glatt” gedachten Gesanges, diese Höherstellung
des gesungenen Wortes, wie es Felsenstein sinngemäß
bezeichnete. Vielleicht muss man bei Mozart sogar noch mehr Intensität
aufbringen, um das Wort gegenüber der Musik Geltung zu verschaffen, als
bei Wagner. (…….)
Die Erinnerung mag täuschen, aber als Sie einst in
der Lindenoper den Loge sangen, mit Kantilene und in Belkantomanier, da war
das noch eine Zeit, in der Peter Schreier im (Ver-?)Ruf eines absoluten “Schön”-Sängers
stand. Nun, im Janowski-Ring, reißt
Ihre Interpretation eine ganz andere, neue Dimension auf.
Die ganze Entwickelung meiner Jugend, als Kruzianer in Dresden, läßt
sich nicht wegdiskutieren, dieser Stil setzt sich so fest. Ich bekenne mich
zu den Maximen eines sauberen, schönen, fast instrumental geführten
Gesanges. Doch in der letzten Jahren habe ich einen großen
Sinneswandel durchgemacht. Mir nicht Wohlgesonnene könnten meinen, die
stimmliche Kraft habe nachtgelassen. Nein – im Gegenteil – wenn
ich heute meine alten Schallplattenaufnahmen anhöre, auch besonders die
Liedplatten, möchte ich alles noch einmal neu machen. Die Erfahrungen
mit mir selbst und die mit meinem Publikum haben mich auf den heute gültigen
Stand gebracht, und der gibt mit noch auf viele Jahre die Kraft zu neuen Möglichkeiten
stimmlicher Gestaltung. Ich will es deutlich sagen: Peter Schreier sieht sich
als S ä n g e r , solange es seinen physischen und psychischen Voraussetzungen
gestatten. Das Singen ist für mich die Möglichkeit, mein künstlerisches
Geschick allein zu bestimmen, konsequent auszudrücken, was ich will.
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